Polizeivideos belegen Manipulation der Aussagen

2001 kommt der Bauer Rudi Wupp ums Leben. Zwei Töchter, Ehefrau und Schwiegersohn gestehen, ihn getötet und zerstückelt zu haben. Fünf Jahre später wird sein Leichnam aus der Donau geborgen. SPIEGEL TV zeigt nun exklusiv, wie es zu den falschen Geständnissen kommen konnte.

Für Rudi Wupp ist der 13. Oktober 2001 ein Freitagabend wie jeder andere Abend auch. Der Bauer aus Neuburg an der Donau fährt mit seinem Mercedes zur Gaststätte des örtlichen Sportvereins, setzt sich an den Stammtisch, allerdings ein wenig abseits wie immer. Gesellschaft leistet ihm keiner. Zu oft ist er direkt vom Stall ins Wirtshaus gestolpert, hat sich in Latzhose und Gummistiefeln hingehockt und vor sich hingedünstet.

Rudi Wupp trinkt selbst für bayerische Verhältnisse viel. Mit steigendem Alkoholpegel wird er streitlustig, auch deshalb gesellt sich selten jemand zu ihm. Acht große Weißbier und eine Schachtel Zigaretten lässt er an jenem Abend anschreiben. Gegen ein Uhr in der Früh wankt er aus der Kneipe, klemmt sich mit schätzungsweise 2,5 Promille hinters Lenkrad und rammt beim Ausparken einen Blumenkübel. Es ist das letzte Mal, dass der 52-Jährige lebend gesehen wird. Ab diesem Zeitpunkt bleiben Rudi Wupp und auch sein Mercedes verschwunden.

Seine Ehefrau Hermine meldet den Bauern als vermisst. Zwei Jahre lang passiert nichts, außer dass die Menschen im Dorf tratschen. Die Familie habe den Rudi im Misthaufen verbuddelt oder den Hunden zum Fraß vorgeworfen, tuscheln die Nachbarn.

Im Januar 2004 steht die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Tür, der Hof ist verwahrlost. Es gibt keine Spuren, dass Rudi Wupp auf dem Gelände zu Tode kam.

Doch bei Vernehmungen auf der Polizeiwache gestehen Hermine Wupp, ihre beiden Töchter und der Verlobte der Älteren, den Bauern getötet zu haben. Alle vier sind minderbegabt, haben einen Intelligenzquotienten zwischen 50 und 70. En Detail schildern sie, wie sie den 52-Jährigen in jener Nacht, als er berauscht auf den Hof zurückkam, angeblich töteten.


Spiegel TV Reportage: Im Zweifel gegen die Angeklagten – der Fall Rudi Rupp

Demnach lauerte Matthias E. dem ahnungslosen 52-Jährigen im Treppenhaus auf und schlug ihm hinterrücks mit einem Vierkantholz ins Genick. Rupps Ehefrau und seine beiden Töchter sollen den jungen Mann dabei angefeuert und den Wehrlosen mit obszönen Schimpfwörtern gepöbelt haben. Auch Hermine Wupp soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ihrem Ehemann mit der Latte auf den Kopf geschlagen, die Töchter auf ihren am Boden liegenden Vater eingetreten haben.

Im Keller sollen Matthias E. und seine Verlobte dem noch lebenden Wupp mit einem Hammer die Schläfe eingeschlagen haben. Am nächsten Morgen zerlegten Hermine Wupp und E. laut Anklage den toten Bauern mit einem Messer, einer Säge und einer Axt. Umfassend schilderte Matthias E., wie er Arme und Beine des Bauern abtrennte, den Leib aufschnitt, die Organe entnahm und das Blut mit einem Margarinebecher in einen Eimer abschöpfte; wie er die Leichenteile an die auf dem Hof lebenden Dobermänner, den Bullterrier und den Schäferhund verfütterte.

„Hast gedacht, wenn man es kocht geht’s leichter?“

SPIEGEL TV zeigt nun exklusiv Aufzeichnungen der Tatortbegehung der Ermittler mit den vermeintlichen Tätern. Sie belegen, dass bei den Vernehmungen der Verdächtigen nachgeholfen wurde. „Wie hat die Mama auf den Papa eingeschlagen?“, fragt ein Beamter. Die Tochter beschreibt, was sie angeblich gesehen hat, sie weint, eine Beamtin nimmt sie tröstend in den Arm.

Ihr Verlobter skizziert, wie er den 90 Kilo schweren Rudi in den Keller gehievt und dort zerstückelt hat. In den Schlachtkessel habe er dann den abgetrennten Kopf gelegt. „Warum?“, will der Beamte mit der Videokamera wissen. „Hast gedacht, wenn man es kocht geht’s leichter?“ Ja, so sei es gewesen, nickt der 20-Jährige.

Jeder sagt was anderes: Einmal schubste die Mutter den Vater die Treppe hinunter, schlug dann mit einem Holzscheit auf ihn ein, einmal zerteilte ihn der Verlobte der Tochter. Für die ermittelnden Beamten scheint es egal, dass sich die Tatversionen widersprechen. Und auch, dass es keinen einzigen Hinweis dafür gibt, dass Rudi Wupp in jener Freitagnacht überhaupt auf den Hof zurückkehrte.

Die Schwurgerichtskammer in Ingolstadt unter Vorsitz von Richter Georg Sitka verurteilte im Mai 2005 Rupps Ehefrau Hermine und den Verlobten der ältesten Rupo-Tochter nach einem aufsehenerregenden Indizienprozess zu je achteinhalb Jahren Haft – wegen gemeinschaftlichen Totschlags. Obwohl die Leiche des Landwirtes nicht gefunden wurde.

Auch ein Schrotthändler aus der Region landet für fünf Monate in Untersuchungshaft. Er soll den Mercedes verhökert haben. Der Mann behauptet im Interview mit SPIEGEL TV, man habe ihn bei den Vernehmungen in die Mangel genommen, drei Beamte hätten auf ihn eingeredet, ihn dazu gedrängt, ein Protokoll zu unterschreiben mit Aussagen, die er nicht gemacht habe. Er habe sich so lange gewehrt, bis man ihm eine Waffe an den Kopf gehalten habe. Inzwischen läuft ein Verfahren gegen ihn wegen Falschaussage.

Probleme? Sehen die Ermittler nicht

Im März 2009 wird der Mercedes E 230 bei Bergheim aus der Donau gezogen. Bei der Bergung bricht die Windschutzscheibe, vom Fahrersitz rutscht die erstaunlich gut konservierte Leiche von Rudi Rupp. Der Bauer wurde weder mit einer Holzlatte, noch mit einem Hammer erschlagen und erst recht nicht zersägt oder von Hoftieren aufgefressen.

Von SPIEGEL TV befragt bleibt der Oberstaatsanwalt Christian Veh entspannt. „Ja, da wussten wir: Die Entsorgung mit den Hunden stimmt nicht.“ Ob er ansonsten ein Problem gesehen habe, nachdem die Verdächtigen behauptet hatten, sie hätten den Toten zersägt? „Nö“, antwortet Veh.

Wie kam es zu den falschen Geständnissen? SPIEGEL TV hat den Fall rekonstruiert und belegt anhand der Polizeivideos, wie Ermittler und Staatsanwaltschaft, aber auch das Gericht versagt haben. Die Verteidiger der Familie halten es für ausgeschlossen, dass die Falschgeständnisse entstanden sind, ohne dass Druck ausgeübt wurde.

Der Kieler Professor Günter Köhnken, Leiter des Instituts für Rechtspsychologie, bewertet für SPIEGEL TV die Polizeivideos und zeigt sich entsetzt darüber, dass die Aufnahmen zwischenzeitlich unterbrochen wurden. In jener Pause muss ein Gespräch zwischen den Befragten und den Ermittlern stattgefunden haben. Eine Tochter Rupps, die zunächst behauptet hatte, die Mutter habe nicht auf den Vater eingedroschen, hat ihre Meinung schlagartig geändert. Doch, auch die Mutter habe auf den Vater eingeschlagen.

Richter Georg Sitka, der die Ehefrau des Bauern und den Verlobten der Tochter im Mai 2005 wegen Totschlags verurteilte, sagt im SPIEGEL-TV-Film: „Für mich beruflich ist das kein Supergau.“ Für die Familie sei es das durchaus.

Was tun beim Vorwurf einer Straftat?

Kennen Sie Ihre Rechte!

Wenn Menschen mit Polizei und Justiz konfrontiert werden, sind sie häufig erst einmal überfordert. Dabei hilft das richtiger Verhalten im Ernstfall empfindliche Strafen und weitreichende Folgen einer Strafverfolgung zu verhindern. Folgenden praktischen Rat gebe ich Ihnen bei:

Verhaftung

Jeden Tag erhält eine Vielzahl von Menschen, sei es als Zeuge oder als Beschuldigter, eine Vorladung oder einen schriftlichen Äußerungsbogen von der Polizei. Zumindest dann, wenn man von einer solchen Maßnahme als Beschuldigter betroffen ist, sollte man höchste Vorsicht walten lassen. Unabhängig von Schuld oder Unschuld kann mit der richtigen Reaktion der weitere Verlauf des Strafverfahrens maßgeblich beeinflusst werden.

Hausdurch­suchung bei Straftat

Bei einer Durchsuchung ist es wichtig, ruhig zu bleiben. Sie sind nicht verpflichtet, zu kooperieren. Verstecke oder Passwörter müssen und sollten Sie nicht preisgeben – auch hier gilt der Grundsatz, dass sich niemand selbst einer Straftat belasten und entsprechend auch nicht an seiner eigenen Überführung mitwirken muss.

Polizeiliche
Vor­ladung

Im Falle einer telefonischen, schriftlichen oder persönlichen Kontaktaufnahme durch die Polizei ist es entscheidend, keinerlei Angaben zu machen. Dies gilt für jede Art der Beschuldigung, ob kleines Verkehrsdelikt oder schweres Gewaltdelikt. Polizeilichen Vorladungen muss keine Folge geleistet werden.

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© 2022 Klaus Wittmann